Heinrich Glarean, Federzeichnung von Hans Holbein dem Jüngeren (Foto: Wikipedia)

Heinrich Glarean, Humanist, Universalgelehrter und Musiktheoretiker

 

Glareans Geburtshaus in Mollis (19.7.2009)

Glarean, eigentlich Heinrich Loriti genannt, wurde im Juni 1488 im schweizerischen Mollis geboren und starb am 27. März 1563 in Freiburg i. Br. Der lateinische Name Clareanus verweist auf seine Herkunft aus dem Kanton Glarus. Er war zu seiner Zeit ein bedeutender Musiker, Musiktheoretiker, Dichter, Lehrer, Philologe, Historiker, Geograph, Mathematiker, Universitätsprofessor, ein Universalgelehrter im Geist des Humanismus der Renaissance.

Seine Grundausbildung erhielt er an der Stiftsschule zu Bern. Dort war der aus einer Rottweiler Zunftfamilie stammende Michael Rubellus (Rötlin) sein Lehrer. Dieser ging 1501 nach Rottweil zurück. Dorthin ist ihm Glarean gefolgt und blieb etwa fünf Jahre lang sein Schüler an der Rottweiler Lateinschule. Auf Grund seiner musikalischen Begabung war er sehr wahrscheinlich Sänger bei den „Chorales“, die beim Gottesdienst in Hl. Kreuz die Kirchenmusik gestaltet haben. Diese Tradtion der Chorales wird auch heute noch bei den Rottweiler Münstersängerknaben lebendig gehalten. 1506 ließ er sich an der Kölner Universität immatrikulieren, 1508 Bakkalaureus, 1510 Magister Artium. 1514 wurde er an der Basler Universität als Magister aufgenommen und lehrte dort bis 1529. In Basel richtete er eine Burse (Internat für Studenten) ein, die er leitete und deren Insassen er unterrichtete u. a. auch in Musik. Er trat in fruchtbaren Kontakt mit den Buchdruckern Johannes Froben und Heinrich Petri sowie mit dem Reformator Zwingli und den Gelehrten Erasmus von Rotterdam und Oswald Myconius. Die persönliche Beziehung zu dem Gelehrten Erasmus von Rotterdam hat die Anschauungen von Glarean stark beeinflusst.

Zwischenzeitlich hielt er sich in Pavia (1515) und in Paris (1517-1522) auf. Die Einführung der Reformation, die er entschieden ablehnte, veranlasste ihn 1529 Basel zu v erlassen und ins benachbarte Freiburg i. Br. Zu übersiedeln. Dort lehrte er an der Universität bis zu seinem Altersrücktritt (1560) Poetik, Geschichte und Geographie. 1539 verstarb seine Frau Ursula geb. Offenburger, später schloss er eine zweite Ehe mit Barbara Speyer, Witwe des Baslers Professors Johannes Wonnecker, die ihm keine Kinder gebar, aber fünf unmündige Kinder Wonneckers mit in die Ehe brachte. Bei seinem Tode war Glarean fast 75 Jahre alt. Er wurde in der Kirche der Predigermönche beigesetzt, sein Grabmal kam später in das Freiburger Münster.

Glarean trat zunächst als neulateinischer Dichter in Erscheinung. Ein Lobgedicht auf Kaiser Maximilian I trug ihm 1512 die Krönung zum Poeta laureatus ein. In der Basler Zeit wandte er sich der Wissenschaft zu und erlangte in der Folge als Gelehrter auf unterschiedlichen Gebieten weitreichende Bedeutung. Er tat sich als produktiver Herausgeber und Kommentator griechischer und römischer Autoren wie Homer, Tacitus und Livius hervor. In „De geographia liber unus“ (1527) beschäftigte er sich mit den Grundlagen der mathematischen Geografie und hielt als Erster die sog. Deklination, die Missweisung der Kompassnadel, fest; das Werk war noch im 17. Jahrhundert in Gebrauch. Seine „Epitome de sex arithmeticae practicae speciebus“ (nach 1539) wurden zu einem an den Universitäten oft benutzten Mathematiklehrmittel. Eng blieb er mit seiner schweizerischen Heimat verbunden: er publizierte in seiner Frühzeit u.a. eine „Helvetiae descriptio“. Er stand aber auch in intensiver Beziehung zum gelehrten Europa.

Nachhaltigste Wirkung jedoch hatten seine Leistungen im Bereich der Musik. Von weittragender Bedeutung war Glareans Musiklehre. Er hinterließ mit seinem „Dodekachordon“ (Lehre von den zwölf Tonarten, circa 1519-1539) ein musiktheoretisches Werk, welches weit über die Zeit des Humanismus´ Einfluss auf die Geschichte der Musik hatte. Durch Rückbesinnung auf die antike Musiktheorie der Griechen (Renaissance) reformierte er das mittelalterliche System der acht Kirchentonarten (Modi) und erweiterte es auf zwölf Modi. Den vier authentischen Modi (dorisch Tonskala von d-d, phrygisch e-e, lydisch f-f, mixolydisch g-g) und den davon abgeleiteten plagalen Nebentonarten (hypodorisch, hypophrygisch usw.) fügte Glarean die aeolische (von a-a) und die ionische Tonart (von c-c) mit den dazu gehörigen hypoaeolischen und hypoionischen Nebentonarten hinzu. Die Modi ionisch (c-c) und aeolisch (a-a) entsprechen dabei den späteren als Dur und Moll bekannten Tongeschlechtern. Im dritten Buch des „Dodekachordon“ belegt und kommentiert Glarean seine Theorie der zwölf Tonarten in der Praxis durch eine ausführliche Analyse von über 120 musikalischen Beispielen. Das Hauptaugenmerk liegt in der einstimmigen Musik bei Beispielen aus dem Gregorianschen Choral und in der Mehrstimmigkeit u.a. bei Werken von Josquin des Prez, dessen Musik er als „ars perfecta“ empfindet.

Heinrich Loriti Glarean ist unter den Humanisten der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts aufgrund seiner vielseitigen Interessen und Fähigkeiten, die auch in der Rottweiler Lateinschule eine grundlegende Prägung fanden, eine herausragende Persönlichkeit.

Peter Strasser